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Biografien Sündenfall des Physikers

Albert Einstein hat wesentlich mehr zur Entwicklung der Atombombe beigetragen, als bislang bekannt war. Das behauptet der Engländer Ronald W. Clark in einer neuen Einstein-Biographie.
aus DER SPIEGEL 18/1974
Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?

Fünf Monate vor seinem Tod gestand Albert Einstein dem amerikanischen Nobelpreisträger Linus Pauling: »Ich beging einen großen Fehler in meinem Leben als ich den Brief an Präsident Roosevelt unterschrieb, in dem ich die Herstellung von Atombomben empfahl.«

Damals, am 2. August 1939, dem Tage, an dem einer der Väter der modernen Physik das Schreiben unterzeichnete, begann nach Meinung aller bisherigen Biographen »das Drama Einsteins«, der Sündenfall des Physikers, der mithaif, die fürchterlichste Kriegswaffe der Menschheit zu entwickeln.

Daß dies nur »ein Teil der Geschichte« ist, daß die volle Wahrheit ein Vierteljahrhundert lang verschleiert wurde, enthüllt jetzt der englische Publizist Ronald W. Clark in seiner Einstein-Biographie, die vor kurzem auch in deutscher Sprache erschien**.

Die ganze Wahrheit entdeckte Clark in mehreren tausend Briefen, Aufzeichnungen und offiziellen Dokumenten, die in 64 Archiven in 14 Ländern dreier Kontinente verstreut sind. Dabei förderte Clark auch bislang unbekannte Materialien zutage, besonders im umfangreichen Archiv des amerikanischen Physikers Leo Szilard in San Diego.

Aus diesen Dokumenten geht hervor, daß Einstein

* Beim Eid auf die US-Verfassung 1941.

** Ronald W. Clark: »Albert Einstein. Leben und Werk. Bechtle Verlag, Esslingen; 512 Seiten; 48 Mark.

* nicht nur einen, sondern drei Briefe an Präsident Roosevelt unterzeichnet hat,

* nicht nur Anregungen gab, sondern auch eine Studie für die spätere Gasdiffusionsanlage zur Trennung des Uran 235 von seinen Isotopen anfertigte.

Otto Hahns Ende 1938 gelungener Versuch einer Kernspaltung hatte die Naturwissenschaftler in der ganzen Welt aufgeschreckt. Bereits im Frühjahr 1939 erwogen Physiker in England, Deutschland, Frankreich und den USA die Möglichkeit, die Kernspaltung waffentechnisch zu nutzen. Einstein. laut Clark von einem Deutschenhaß besessen, der »paranoide Züge trug«, befürchtete, daß die Deutschen, nachdem sie die Kernspaltung entdeckt hatten, auch den Versuch unternehmen würden, nukleare Waffen zu entwickeln.

Als daher Leo Szilard, Physik-Professor an der Columbia-Universität, im Sommer 1939 bei Einstein anfragte, ob er einen Brief an den Präsidenten unterzeichnen würde, in dem eine Intensivierung der Kernforschung in den USA gefordert werden sollte, erklärte sich Einstein dazu bereit.

Dieser Brief wurde am 11. Oktober Roosevelt übergeben. Noch am gleichen Tage berief der Präsident eine Kommission ein, die die Möglichkeiten einer Kernspaltung untersuchen sollte.

Für die bisherigen Historiker endete damit Einsteins Beteiligung an der Entwicklung der Atombombe. Tatsächlich aber war laut Clark Einsteins Engagement sehr viel hartnäckiger. Die auf seinen Brief hin gegründete Kommission arbeitete ihm nicht effektiv genug. Deswegen schrieb er ein halbes Jahr später ein zweites und wenige Wochen später ein drittes Mal an den Präsidenten.

Freilich vermag Clark nicht zu erklären, warum Einstein später immer nur von dem Brief an Roosevelt sprach und außerdem in der Unterzeichnung dieses Briefes seine einzige Beteiligung an der Bomben-Entwicklung sah.

Auch die letzte Behauptung Einsteins ist nach Clarks Recherchen falsch. Denn im Dezember 1941 bat Vannevar Bush, Direktor des US Office of Scientific Research and Development, Einstein um Hilfe bei der Lösung eines Problems der Gasdiffusion.

Innerhalb von 14 Tagen fertigte -- so berichtet Clark, gestützt auf bisher unbekannte Dokumente -- Einstein eine Studie an, die eine Lösung des Problems enthielt. Er sei, so ließ er Bush darüber hinaus ausrichten, »gern bereit, alles zu tun, was in seiner Macht steht«.

Später jedoch wurde Einstein von moralischen Bedenken gequält. Lange Zeit leugnete er öffentlich, an der Bombe mitgewirkt zu haben. Erst kurz vor seinem Tode 1955 gestand er einer Vertrauten: »Ja, ich habe auf den Knopf gedrückt.«

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